Mikroklimatische Zusammenhänge verstehen und schützen!


Was bewirkt das Aufreißen von Flächen und Roden unserer Wäldern?


Zur Person
Prof. Pierre Ibisch, 1967 geboren in Flensburg, ist einer der führenden Waldökologen Deutschlands. Er arbeitet als Professor für Sozialökologie der Waldökosysteme an der Hochschule für nachhaltige Entwicklung in Eberswalde. Er studierte in Bonn, arbeitete lange im Ausland, vor allem in Südamerika, und kam über internationale Studiengänge 2004 nach Eberswalde.

Windräder sind grundsätzlich eine zusätzliche Stressquelle für Wälder!


Dieses Interview (14.06.2025, Berliner Zeitung) mit Prof. Peter Ibisch verdeutlicht, was es bedeutet Wälder aufzureißen und Ihre natürliche Schutzfunktion mutwillig zu zerstören.


Pierre Ibisch ist einer der bekanntesten Waldökologen Deutschlands und warnt vor Windrädern im Wald. Er sagt: Sie nutzen weniger der Umwelt als den Investoren!

Windräder im Wald sind ein neuer Trend und hochumstritten. Im Landschaftsschutzgebiet zwischen Halbe, Teupitz und Freidorf sind 261 Meter hohe Anlagen geplant, zehnmal so hoch wie die Kiefern im Wald.
Aus ökologischer Sicht ist das verheerend. Pierre Ibisch von der Hochschule für nachhaltige Entwicklung in Eberswalde erklärt, warum die Windräder wie Staubsauger die feuchte Luft aus dem Wald befördern und manche Waldbesitzer ihre Flächen trotzdem hergeben.

Herr Professor Ibisch, wie finden Sie grundsätzlich Windräder im Wald, egal, in welchem?

Auf Grundlage von Studien und eigenen Forschungen und Erfahrungen bin ich sehr skeptisch, dass das eine gute Idee ist. Grundsätzlich bin ich natürlich dafür, dass wir die Energiewende vorantreiben und auch die Windkraft nutzen,
aber nicht im naturnähesten Ökosystem.

Warum ist der Wald unser naturnähestes Ökosystem?

Von Natur aus wäre fast ganz Deutschland von Wald bedeckt. In Jahrtausenden haben die Menschen den Wald hier großflächig gerodet. Zum Teil auch wieder aufgeforstet. Zwar haben wir noch ein Drittel Waldbedeckung in Deutschland, aber diese Flächen sind extrem zersplittert, in zum Teil sehr kleine Flächen. Es gibt in Deutschland auch viele naturferne Forste, die wenig zu tun haben mit einem wirklichen Wald und nur der reinen Holzgewinnung dienen. Sie sind letztlich oft Plantagen.

Aber auch sie haben wichtige Funktionen, die über die des Offenlandes hinausgehen. Wald bindet viel Kohlendioxid, Wald wirkt günstig auf den Wasser- und Klimahaushalt der Landschaft. Und all diese Wälder sind unter Druck. Sie leiden unter den sich rasant ändernden Klimabedingungen, in Kombination mit einer intensiven Nutzung und dem Stress aus dem Umfeld der Wälder.


Wenn wir weniger Kohlendioxid in der Luft wollen und mehr Sauerstoff, ist dann der Wald die beste Maschine dafür?

Es gibt den Ansatz des natürlichen Klimaschutzes – und dabei ist ein ganz wichtiger Beitrag, mit Wäldern zu arbeiten und sie zu unterstützen, damit sie vital bleiben. Wir haben eine Klimakrise mit immer stärkeren Hitzewellen und Dürren; damit der Wald bestehen kann, muss er so dicht und so kühl wie möglich sein.

Bei dem Fall, um den es bei Teupitz geht, handelt es sich um klassischen Brandenburger Forst, mehr als 70 Prozent Kiefern, dort wird auch Waldumbau gemacht, damit klimaresistentere Mischwälder entstehen. Es sind riesige Waldflächen, warum können da nicht 50 Windräder reingestellt werden?

Im Moment sind es noch naturferne Forsten, das ist richtig, aber auch dort soll ja die Entwicklung Richtung Laubwald gefördert werden, was wirklich notwendig ist. Das geht natürlich sehr viel besser auf größeren Flächen, die nicht zerschnitten sind und unter vielfältigem Stress leiden.


Es ist festzustellen, dass Windräder grundsätzlich eine weitere zusätzliche Stressquelle sind – für Kiefernforsten genauso wie für jeden Wald.

Wer ein Luftbild von einem Wald sieht, erkennt einen geschlossenen Teppich der Baumkronen.
Selbst Laien begreifen, dass Löcher in diesem Teppich das Mikroklima darunter im Wald verändern.


Wieviel Prozent des Waldes fallen durch die Standorte der Windräder und die breiten Zufahrtswege weg?

Die Prozente helfen nicht unbedingt weiter. Mal heißt es, es sei weniger als ein Hektar pro Windrad, aber dazu kommen die Schwerlasttrassen, die dort hinführen und über die die Windräder gebracht werden. Die Trassen sind freizuhalten. Auch die Flächen um die Räder sind geprägt von stark verdichtetem Boden, dort wird oft sehr viel Schotter eingebracht.
Das Ganze erwärmt sich stark an heißen Tagen, und das führt dazu, dass wir auch dort Randeffekte haben.

Was ist das?

Das sind Effekte und Stressfaktoren, die sonst vor allem am Rand des Waldes auf ihn einwirken. Etwa thermische Wirkungen wie hohe Temperaturen, damit geht eine Austrocknung des Waldes einher – nun also mitten im Wald und nicht nur am Rand. Der Wald wird nicht nur physisch durch die Trassen zerschnitten, es kommt eine mikroklimatische Zerschneidung dazu.

Kiefernwald bei Freidorf, südlich von Berlin: Dort sollen die Riesen-Windräder hin.
Thomas Meyer/Ostkreuz
Wie wirken sich Windräder in Wäldern auf die Temperatur aus?

Wir arbeiten viel mit Fernerkundung, mit satellitenbasierter Temperaturerkundung und schauen uns besonders die heißen Tage über 30 Grad an: Die Oberflächentemperatur über solchen Forsten liegt dann meist bei mehr als 20 Grad,
aber auf Freiflächen im Wald – etwa durch Windräder – sind es oft auch über 30 Grad. Das sind Temperaturunterschiede von circa zehn Grad. Und wenn wir dann noch vor Ort im Wald messen, finden sich oft noch größere Temperaturunterschiede.

Erhöht das die Waldbrandgefahr?

Oft kommt Feuer durch Fahrlässigkeit von Menschen in den Wald oder durch Fahrzeuge. Das heißt: je mehr Wege, desto höher die potenzielle Gefahr. Aber die Feuergefahr wird vor allem durch einen Faktor getrieben, den wir Dampfdruckdefizit nennen. Das ist die austrocknende Wirkung der Luft.


Grundsätzlich kann warme Luft mehr Wasser aufnehmen. Das ist eine nichtlineare Beziehung, der Wert steigt exponentiell. Wenn sich die Lufttemperatur von 20 auf 40 Grad verdoppelt, haben wir aber eine Verdreifachung dieses Durstes der heißen Luft, die dann das potenzielle Brennmaterial am Waldboden – also Reisig, Nadelstreu und Gräser – austrocknet.

Das heißt: Die heißen Löcher im Wald für die Windräder saugen die kühlere feuchte Luft aus dem Wald ringsum, wie Staubsauger?

Ja. Und dann steigt die heiße Luft auch noch nach oben. Windradfreiflächen und
die offenen Schwerlasttrassen entziehen dem Ökosystem Wald also zusätzlich Feuchtigkeit. Wie groß die Mengen sind, dazu gibt es bislang noch keine ordentlichen Studien, aber die mikroklimatischen Zusammenhänge sind klar.

Sind Windräder auch tödlich für Vögel wie den Rotmilan und Fledermäuse?

Lange wurde vor allem darauf geschaut, dass fliegende Tiere wie Vögel oder Fledermäuse mit den Flügeln der Windräder kollidieren und getötet werden können. In Studien hat sich aber auch gezeigt, dass einige sehr lärmempfindliche Fledermäuse durchaus auf die Ultraschallsignale reagieren, die an Windturbinen erzeugt werden. Sie bringen die Tiere nicht um, aber irritieren sie. Das heißt: Bestimmte Tiere nutzen dann diese Lebensräume nicht mehr für sich. Die Aktivität von Fledermäusen sinkt im Umfeld von Windparks signifikant.
Und Fledermäuse sind wichtig im Wald.

Was bedeutet ein Status als Landschaftsschutzgebiet?

In Landschaftsschutzgebieten ist fast alles erlaubt, aber es gibt Kriterien, die sie als besondere Landschaften schützenswert machen.
Und Windräder stören nun jene Eigenschaften, derentwegen viele Landschaften bewusst unter Schutz gestellt wurden.

Landschaft bei Teupitz. Die Windkraftanlagen sollen fast 270 Meter hoch sein, die Bäume sind etwa 30 Meter hoch.
Thomas Meyer/Ostkreuz
Es spricht also alles gegen Windräder im Wald, oder?


Ja, es muss vor allem auch noch bedacht werden, dass all die Probleme, die die Windkraftanlagen verursachen, zum alltäglichen Stress kommen, unter dem die Wälder sowieso schon leiden.


Wir befinden uns in einem sehr rasanten Klimawandel, und wir müssen alles tun, dass die Wälder ihre puffernden und kühlenden Eigenschaften erhalten können. Beim Klimawandel übertrifft die Realität die Prognosen. Es wird wirklich eng, und wir sollten schauen, dass wir durch unsere Infrastruktur nicht noch eine weitere Erhitzung der Landschaft bewirken.

Schon jetzt bauen viele Landwirte neben Autobahnen breite Streifen mit Solaranlagen. Dort stören sie nicht und die Bedingungen für die Landwirtschaft sind dort sowieso nicht ideal. Warum verfügt der Staat nicht einfach, dass Windräder in Deutschland vor allem entlang der Autobahnen gebaut werden?

Meine Vorstellung ist tatsächlich, dass wir zu einer strategischen Landnutzung kommen. Es gibt viele Flächen, die sowieso schon von unserer Infrastruktur und Technologie belastet sind. Wir sollten schauen, dass wir weitere belastende Faktoren für die Natur dort konzentrieren. Deshalb ist es eine wichtige und gute Idee, Windräder entlang von Autobahnen zu bauen. Ich werbe massiv für kleinere Anlagen, die zwar weniger effizient sind, aber die man in größerer Zahl dort aufstellen kann, wo sie nur einen kleineren zusätzlichen Schaden anrichten.

Warum werden dann Windräder im Wald gebaut?

Die Windkraft wird für Waldeigentümer immer relevanter als Einkommensquelle, weil die Wälder schwächeln, teilweise kollabieren. Große ökonomische Ausfälle sollen dann durch Gewinne aus der Windkraft überkompensiert werden. Von 70.000 Euro pro Windrad und Jahr für den Waldbesitzer ist die Rede, das bekommt er mit dem Fällen von Kiefern nicht hin. Da verdient er vielleicht 100 Euro pro Hektar.


Quelle:

https://www.berliner-zeitung.de/mensch-metropole/windraeder-sind-grundsaetzlich-eine-weitere-zusaetzliche-stressquelle-fuer-den-wald-li.2332517